Nun kommt eine Akrobatik der besonderen Art, die ist nicht
zum Ansehen, sondern zum Anhören. Wisst Ihr was passiert, wenn Worte mal
ausgesprochen sind? Dann beugen sie sich und dehnen sich. Sie geistern in den
Köpfen herum und vollführen Wortgefechte – das ist Zirkus pur. Ausgesprochene
Worte im Zirkus – das wird ausgesprochen – spannend! Hört selbst:
Erstmal heiĂźt es anstellen. Ganze Wortfamilien stehen schon
vor den Kassenhäuschen an der Sprachbarriere, Semikolonnen warten auf den
Einlass, doch es geht nicht weiter, weil ein Zeitadverb behauptet, es sei in
anderen Umständen und ein älterer Herr mit Hypothese einen bequemeren Platz
beansprucht. Ein wütendes Subjekt mit seinem blonden Verhältniswort wird ungeduldig
und drängelt sich nach vorne. „Entschuldigung, wenn das hier noch länger
dauert, dann falle ich gleich in ein künstliches Komma.“ Bestimmt schiebt die Kassiererin
es zurück ins letzte Satzglied mit dem Hinweis: „Hier geht es streng nach dem Alphabet.“
„Schmarrn!“ schreit ein Dialekt aufgeregt „i steh` hier scho
stundenlang saubled rum und kimm ma vor ois wia a Fremdwort zwoater Klass’n.“
Bei den anderen Zirkusbesuchern geht es da modaler zu. Eine
Gruppe kleiner Satzpartikel betritt aufgeregt mit ihrer Konsonante das Foyer
und steht unbestimmt herum, bis sie ein Begleiter an die richtigen Plätze
fĂĽhrt.
Auf den billigen Rängen stören unregelmäßige Verben die Umsitzenden
– he du, nimm dein Pronomen aus meiner Parenthese. Schon werden sie zu Fußnoten
degradiert.
Da geht das Licht aus. Das Orchester beginnt mit einer syntaktischen
Folge von Fugenzeichen und schlieĂźt seine neueste Komposita an: eine Interpretation
von Dudens 4. Tonfall. Dann ein Tusch. Der Imperativ betritt als Direktor die
Manege: „Meine sehr verehrten Haupt- und Nebensätze, ich verspreche Ihnen einen
Abend der Steigerungen und Superlative. Den Ablauf des Programms entnehmen Sie
bitte ihrem Lexikon.“
FĂĽr die erste Nummer sucht ein finster dreinblickender
Terminus Technikus ein freiwilliges Objekt aus dem Publikum, das auf einer Zielscheibe
festgeschnallt wird. Mit verbundenen Augen wirft er dann bei Trommelwirbel spitze
Bindestriche, die aufs i-TĂĽpfelchen genau ins Ziel gehen.
Im Anschluss sehen wir Wortakrobatik der Extraklasse. Ein
Hauptsatz und drei Nebensätze wagen eine noch nie da gewesene Konjunktion ohne
Bindewort – unglaublich. Das Publikum ist begeistert, schreit in die Manege „Pass
auf, geh nie tief“. Doch das Kunststück gelingt. Ein Ausrufesatz der
Erleichterung geht durch die Menge. „Bravo!“ rufen die Interjektionen.
Danach folgt eine Dressur mit zehn andalusischen Metaphern,
die eine stehende Redewendung bilden. Dazu vollfĂĽhrt ein Pleonasmus KunststĂĽcke
auf einem weiĂźen Schimmel.
Als ein ziemlich scharfes S die Manege betritt, tönen
begeisterte Umlaute durch die Reihen. Vor den Augen des staunenden Publikums
vollführt das scharfe S eine äußerst gewagte Silbentrennung – und verlässt als doppeltes
S die BĂĽhne.
Der Direktor kĂĽndigt einen weiteren Wortschatz an: Ein starker
Plusquamperfekt zerschlägt mit bloßer Vorsilbe einen Wortstamm. (Dann balanciert
er auf einem Langen-Scheidt einen zackigen Infinitiv und verlässt präpositional
zum Publikum die Manege.)
Vor der Pause verben Tunwörter für eine Litera-Tour durch die
angrenzenden Wortfelder oder einen Ritt auf einem Fabelwesen. Studentische
Hilfsverben gehen durch die Reihen und verkaufen Semikola und Schoko-Artikel.
In den Logen bietet ein Rosenverkäufer Stilblüten an.
Nach der Pause folgt ein weiterer Höhepunkt mit den drei lateinischen
Clowns Numerus, Casus und Genus, die es mit ihren idiomatischen Wendungen bereits
zu Ruhm in der Sprachwelt gebracht haben.
Das Fremdwort aus dem Cirque du Soleil vollfĂĽhrt einen Reigen
Stabreime, wird aber aufgrund seines starken Akzentes nicht verstanden. Dann erleidet
es bei einer ungewöhnlichen Wortstellung auch noch einen Zeilenumbruch. Oh nein!
Das Fremdwort gibt kein Lesezeichen mehr von sich! Doch die Rettungssanitexter
stehen schon bereit und können durch eine Interjektion mit einer Satzklammer
schnelle Hilfe leisten.
FĂĽr zauberhafte Momente sorgt der groĂźe Magier Dativ
Copperfield, der mehrfach mit einer Buchstabenkette gebunden und in einen undurchsichtigen
Schachtelsatz gepackt wird. Ein Teekesselwort schĂĽttet kochendes Wasser hinein,
bis alle Satzglieder bedeckt sind. Wie durch ein Wunder erhebt sich Dativ
Copperfield nur zwei Zeilen später unverletzt. Die Zuschauer sind begeistert.
Spektakulär auch die nächste Nummer: drei fliegende
Apostrophe, die in schwindelerregender Höhe auf dem Trapez tollkühne Parolen
vollführen. Während ein Anführungszeichen unten wortgewaltige Salti schlägt,
hält sich das Anführungszeichen oben am Seil. Dem Publikum stockt der Atem,
doch alles geht gut.
Den Abschluss der Vorstellung bilden die siamesischen
Doppellaute Singular und Plural, die sich betont einsilbig geben. In einem aberwitzigen
Rededuell kommt es zu einem Schlagabtausch persönlicher Fürwörter.
Viel zu schnell geht der Abend dann zu Ende. Der Direktor
ruft noch einmal alle Artikel in die Manege, sie beugen sich und drehen eine
Schlussrunde. Mit einem donnernden Ablativ verleiht das Publikum dieser
Zirkusvorstellung das Prädikat: besonders wertvoll.